Richard Koechli bringt die Seiten zum Schwingen in „Dem Blues auf den Fersen.“ In seinem autobiografischen Musik-Roman stellt er Fred Loosli, ein Gitarrist und Sänger aus dem Nordwesten der USA, in den Mittelpunkt der Geschichte. Dabei spannt der Autor einen Bogen zwischen den Blues-Pionieren, die ihren Weg trotz manchen Widrigkeiten fanden, und Fred Loosli, der sich am Wendepunkt seiner Karriere befindet.
Ausgerechnet jetzt, wo ein bevorstehendes Konzert ihm einen beträchtlichen Karrieresprung ermöglicht, verlässt Fred der Mut. Zuflucht sucht er auf einem Spaziergang im Wald und in seinen Erinnerungen. Dabei begibt er sich auf eine eigenwillige Expeditionsreise zu den sagenumwobenen Urquellen des Blues. Er will unbedingt zum Wesenskern der Musik vordringen, um daraus Hoffnung und Mut zu schöpfen. Auf der Suche nach dem ursprünglichen Zauber der Bluenotes, kreuzen nicht nur einige Blues-Legenden und Rockstars seinen Weg, er stolpert ebenfalls über allerhand Mythen und Klischees und beginnt zu sinnieren. Denn obwohl Musik überall in der Luft liegt auf seiner Reise, scheinen dennoch Dämonen im Unterholz zu kauern. Ist etwa der Teufel mit im Spiel? Und wo spielt hier eigentlich die Musik? Ist der Blues heilig oder doch des Teufels, gut oder böse?
Der Leser merkt es schon, wer sich aufmacht und dem Blues auf den Fersen folgt, der begibt sich auf ein besonderes Leseabenteuer. Als wäre das nicht schon genug, hat Richard Koechli seinen eigenen Weg der Darstellung gewählt. Er nimmt selbst die Hauptrolle des Musikers Fred Loosli ein, während er gleichzeitig als Erzähler und Kommentator der Reise auftritt. Somit entblättert sich das Schicksal von Loosli in einer ungewöhnlichen Erzählform auf verschiedene Zeitebenen. Der Leser folgt dem Erzähler samt seinen Protagonisten bereitwillig, enthüllt sich diese außergewöhnliche Reise in angenehme Lesehäppchen, so dass es Seite für Seite spannend bleibt. Zudem sind unterwegs genügend Abschweifungen garantiert. Das liegt in der Natur der Sache, ist doch der Autor selbst ein Musiker. Und im Musik-Milieu hat die Kunst des Improvisierens, und damit das Plaudern, nun mal Tradition – es ist einfach die pure Lust am Plaudern. Insgesamt entsteht auf diesem Wege eine schwungvolle Komposition, wobei Richard Koechli seine Erfahrungen als Künstler einbringt, gespickt mit Anekdoten und philosophischen Betrachtungen.
Wer jetzt schon neugierig auf mehr ist, der kann sich direkt zur Verlagsseite des Buches begeben. Dort gibt es eine Leseprobe und weitere Informationen zum Buch. Alle anderen dürfen gerne weiterlesen.
„Klänge und Lieder sind wie Gedanken; sie gehen auf Reisen.“
Loosli erkennt, dass der Weg des Musikers alles andere als ein Spaziergang ist, lauern doch überall Stolpersteine, die innerhalb und außerhalb von ihm liegen. Sein Seelenheil sucht er auf dieser Pilgerreise im doppelten Sinne: Er will das Geheimnis des Blues aufspüren und gleichzeitig ist er auf der Suche nach einem Zeichen, das ihm als Wegweiser dienen soll bei dem nächsten Schritt in seiner Karriere. Diese Exkursion und Expedition führt ihn nicht nur zu den von ihm verehrten Musik-Legenden und ihren Geschichten, sondern ist zugleich ein Ausflug in seine eigene Gedanken- und Gefühlswelt. Angesichts dieser Konfrontation mit sich selbst im Spiegel der Blues-Geschichte, gerät er ins Grübeln und stolpert über Widersprüchlichkeiten. Dementsprechend wechselt seine Gangart im Verlauf der Geschichte und hält den Leser, wie auch seinen Reisebegleiter auf Trab. Er konfrontiert den Reisebegleiter, den Erzähler dieser seltsamen Reise, mit seinen Gedanken, Gefühlsausbrüchen und philosophischen Grübeleien.
Da erstaunt es nicht, wenn der Erzähler wiederholt einschreitet. Schließlich ist es eigentlich seine Aufgabe, die Fäden der Geschichte in der Hand zu behalten, was ihm so natürlich kaum gelingt. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als seinen Protagonisten auf dessen gedanklichen Abschweifungen und Abzweigungen zu begleiten. Damit diese eigenartige Expedition voranschreiten kann, muss er eingreifen, um seinen Helden auszubremsen und ihn auf den Boden der Realität zurückzuholen. Aber so einfach lässt sich sein Protagonist weder fortbewegen noch überzeugen. Stattdessen verstrickt Loosli den Erzähler in teils hitzige Wortgefechte. Unter diesen Umständen fungiert der Erzähler als Sparring-Partner für den Protagonisten und als Reise- oder Fremdenführer für den Leser. So folgt der Erzähler Loosli auf Schritt und Tritt, selbstverständlich mit dem Leser im Schlepptau. Allerdings sorgt der Erzähler seinerseits für Abdriftungen, da er seine Lust auf prosaische Abenteuer nicht zu bändigen vermag. Seine experimentelle Erzählform sorgt für weitere Umwege, durch Kommentare, eingeschobene Zwischenebenen und philosophischen Einschüben. Dennoch schreiten die beiden gemeinsam voran auf dieser mysteriöse Reise und erkunden, was wirklich geschah bei Robert Johnson & Co. Bei der Beschäftigung mit all diesen Mythen, mutet es dann nicht seltsam an, wenn Loosli zwischen Himmel und Hölle schwankt.
„Ist der Blues heilig oder des Teufels?“
Bereits am Anfang des Buches wirft Richard Koechli die spannende Frage auf, ob der Blues heilig ist oder des Teufels. Darauf kann es keine einfache oder eindeutige Antwort geben, schon gar nicht für den Protagonisten dieser wundersamen Pilgerreise. Dafür bietet die Frage umso mehr Raum für Deutungen, Mutmaßungen und Meinungen. Dies gilt besonders im Hinblick auf die Mythen, die sich um einige Blues-Götter und Rockstars ranken. Die unzähligen Devil- und Juke Joint Stories, die Sage von der verkauften Seele und dergleichen mehr, beeindrucken Loosli dermaßen, dass er nahezu besessen davon ist. Unermüdlich kreisen seine Gedanken um diese entscheidende Frage. Seine Suche nach einer Antwort, es durchzieht das ganze Buch.
Und selbst wenn Religion hier nicht ausdrücklich thematisiert wird, liegen doch Glaubensfragen in der Luft bei diesem Waldspaziergang. Sie schlagen sich nieder in Form von Symbolen, Bildern und Anspielungen. Loosli vermutet nicht nur Naturgeister im Wald, sondern überall scheinen Dämonen, Kobolde oder Schurken der Unterwelt zu lauern. Auf seiner Expedition zu den Urquellen des Blues, sprudeln sie immer wieder hervor, diese Mythen und Teufelsgeschichten. Wo jedoch teuflische Einflüsse auf der Lauer liegen, ist andererseits Gott nicht weit. Loosli fühlt sich also von guten Mächten getragen. Als er endlich ein Zeichen erhält, ist es für ihn eine Offenbarung. Doch bevor er den heiligen Blues-Gral aufspüren kann, bedroht eine Hiobsbotschaft seine Karriere als Musiker. Am Scheideweg angelangt, wird er von der legendärsten aller Bluesgestalten heimgesucht, von Robert Johnson. Am Ende enthält diese traumhafte Begegnung die erlösende Botschaft. Die Antwort auf die Frage, ob der Blues heilig ist oder des Teufels, entpuppt sich als so einfach wie einleuchtend.
„Geschichten erzählen richtige Musiker mit Songs, Melodien, Grooves …“
Richard Koechlis Buch „Dem Blues auf den Fersen“ könnte auch lauten: Wo spielt hier die Musik? Denn anders als der Untertitel „Was geschah wirklich damals – bei Robert Johnson & Co?“ es uns vermuten lässt, handelt das Buch eben nicht nur von den historischen Wurzeln des Blues und einigen ihrer bedeutendsten Interpreten. Vielmehr stellt es einen gelungenen Versuch dar, das Geheimnis des Blues – die magische und mysteriöse Macht von Musik – zu ergründen und sie fassbar werden zu lassen. Das Wesen, der Geist jeglicher Musik lässt sich jedoch, wenn überhaupt, nur bis zu einem gewissen Grad in Worte fassen. Ein Teil des Zaubers bleibt unfassbar, es bleibt allein dem Gefühl überlassen. Mit viel Feingefühl gelingt es Richard Koechli, den Leser mitzunehmen auf seine persönliche Reise zum Wesen des Blues. Hierbei spielt die Musik synchron auf mehreren Ebenen, ob auf den Bühnen der Blues-Legenden oder auf Looslis Reise und natürlich überall dort, wo das Leben spielt.
Geschickt verknüpft der Autor die Fäden diverser Handlungsebenen, durch die übergreifende und ausschweifende Erzählweise, so wie mit den Wort-Duellen zwischen Loosli und dem Erzähler der Geschichte. Sie spiegeln beide die Persönlichkeit des Autors und durch die beiden Figuren gewinnt der Leser einen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt des Musikers. Die Sonnen- und Schattenseiten des Musikers werden durch Loosli beseelt und sichtbar gemacht. Auf seinem Weg stolpert er über Widersprüche, hadert mit sich selbst und muss erst seine Stimme finden. Musik vermag ihn in luftige Höhen zu versetzen, aber es wird auch zur Gratwanderung und verlangt einiges von ihm ab. Denn unter anderem muss sich ein Musiker selbst seinen Weg suchen, aber wenn er mit und von seiner Musik leben will, muss er sich an die Gesetze der Musik-Industrie und des Show-Business halten. Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage zu betrachten, ob der Blues heilig ist oder des Teufels? Der Autor nutzt die Kraft der Symbole, um einerseits die Gefühlsebene des Musikers und seine innere Zerrissenheit zu verdeutlichen. Andererseits ist es eine Anspielung auf die vielen Anforderungen, Gefahren, Versuchungen und Verlockungen, die das Künstlerleben mit sich bringt. Der Künstler kämpft mit mehreren Dämonen gleichzeitig. Dabei können Hochmut und das beständige Schielen auf den Erfolgsbarometer ihn genauso abstürzen lassen, wie der übermäßige Drogen- oder Alkoholkonsum. Der Teufel kennt ja viele Fallstricke. Umgekehrt braucht jeder Musiker seinen Glauben und die Liebe. Er muss an sich selbst glauben und an seine Musik, trotz den Widrigkeiten, die sich ihm in den Weg stellen. Der Glaube und die Liebe schenken ihm die nötige Kraft.Wenn der Leser am Ende der Reise steht, haben sich die Bruchstücke der Geschichte zusammengefügt. Die schicksalshafte Reise von Loosli, die verschiedenen Geschichten und Mythen, die vielfältigen Gesichter der Musik und die philosophischen Reflexionen, sie ergeben ein mehrdimensionales Bild vom Wesen des Blues. Selbstverständlich kann dieses Bild nicht vollkommen sein, aber Richard Koechli präsentiert es uns im leichten Plauderton, durchsetzt von Poesie, einem Hauch Ironie und voller Humor und Zweideutigkeiten. Es ist die Sprache des Blues. Ein Buch voller Musik.
Paperback Tredition Verlag ISBN: 978-3-7323-0172-0
Über den Autor
Der Schweizer Gitarrist, Singer/Songwriter und Buchautor Richard Koechli (1962) ist ein grosser Kenner der amerikanischen Roots-Musik. Seine im AMA-Verlag erschienenen Lehrbücher sind renommierte Standardwerke (Deutscher Musikeditionspreis 2011); als Künstler wurde er unter anderem mit dem Swiss Blues Award 2013 und mit dem Schweizer Filmmusik-Preis 2014 ausgezeichnet. Musizieren und Schreiben, diese beiden Leidenschaften bringt Richard Koechli zusammen in seinem Musik-Roman „Dem Blues auf den Fersen.“ Zeitgleich zu seinem Musik- Roman erschien das passende Doppelalbum „Searching for the Blues.“ In einem Interview mit seinem Verlag, verrät er wie Musizieren und Schreiben miteinander harmonieren. Seine Website bietet weitere Informationen über seine Musik, seine Bücher und vieles mehr.
Ich bedanke mich beim Verlag für das Rezensionsexemplar.